
Der Ortsteil Reiskirchen sieht sich aktuell mit einer unerwarteten Situation konfrontiert: Die geplante Feier zum 1050-jährigen Bestehen kann nicht stattfinden. Während die Vorbereitungen bereits im Herbst 2024 aufgenommen wurden, hat ein Gutachten des Hessischen Staatsarchivs in Darmstadt die Ersterwähnung des Ortes auf das Jahr 1236 datiert. Diese Information wirft ein neues Licht auf die Geschichte Reiskirchens, die traditionell auf eine Urkunde aus dem Jahr 975 zurückgeführt wurde. In dieser Urkunde von Kaiser Otto II. werden zwar beide Reiskirchen, sowohl im Landkreis Gießen als auch bei Wetzlar erwähnt, doch der eindeutige Bezug zu einem der Orte bleibt fraglich. Laut Giessener Anzeiger ist die Erkenntnis über die Ersterwähnung von 1236 das Ergebnis einer Initiative von Archivarin Lea Palitsch, die eine genaue Untersuchung anregen konnte.
Die ursprünglich für 2025 geplanten Feierlichkeiten umfassten verschiedene Veranstaltungen. Dazu gehörte eine Auftaktveranstaltung im Mai rund um die Kirche und den alten Pfarrhof, ein Festumzug im Juli im Rahmen der Reiskirchener Kirmes sowie eine Abschlussveranstaltung im Oktober im Bürgerhaus mit der Heimatgeschichtlichen Vereinigung. Jetzt jedoch muss die Gemeinde ihre Ansprüche auf das 1000-jährige Bestehen revidieren. Die eigentliche 1000-Jahr-Feier fand bereits 1975 statt, basierend auf der Kaiserurkunde von 975. Dennoch wurde diese gefeiert, weil das Hessische Staatsarchiv zuvor beiden Orten die Berechtigung gegeben hatte, sich auf die urkundliche Erwähnung zu beziehen.
Die historische Entwicklung
Der aktuelle Forschungsstand deutet darauf hin, dass Reiskirchen wahrscheinlich schon vor dem Jahr 1000 existierte. Konkrete Belege für ein Gründungsdatum sind jedoch nicht auffindbar. Eine Urkunde aus dem Jahr 1238, die einen Pfarrer von Reiskirchen erwähnt, gilt als Beleg für die offizielle Ersterwähnung. In der Zeit bis zur frühen Neuzeit erlebte Reiskirchen zahlreiche Veränderungen. Ein Brand in der Osternacht 1613 verwüstete das Dorf, aber die Kirche überstand das Unglück weitgehend. Der Wiederaufbau erforderte viel Zeit und zog sich bis in die Notzeiten des Dreißigjährigen Krieges.
Reiskirchen blickt zudem auf eine Wirtschaftsgeschichte zurück, die durch den Aufschwung der Industrialisierung im späten 19. Jahrhundert geprägt ist. Die Errichtung einer Zigarrenfabrik war nur der erste Schritt in eine Entwicklung, die über die Jahre eine ständige Zunahme der Bevölkerung mit sich brachte. 1938 wurde die Autobahn fertiggestellt, was einen zusätzlichen wirtschaftlichen Aufschwung einleitete. In den 1950er Jahren begann eine rege Bautätigkeit, die das Flächenangebot der Gemeinde verdoppelte und 1971 Reiskirchen zum Verwaltungssitz einer Großgemeinde mit rund 11.000 Einwohnern machte.
Demografische und Infrastrukturdaten
Reiskirchen liegt in einer reizvollen Höhenlage von 228 Metern über Normalnull, rund 9 Kilometer westlich von Grünberg, inmitten malerischer Landschaften. Die Gemeinde ist über die Bundesstraße B49, die Gießen und Grünberg verbindet, gut erreichbar. Der Bahnhof Gießen – Fulda, der 1869 in Betrieb genommen wurde, hielt die Region während der industriellen Entwicklung vernetzt. Die älteste Gemarkungskarte aus dem Jahr 1854 und die Einwohnerstatistiken geben Aufschluss über das Wachstum des Ortes: Die Einwohnerzahl stieg von 425 im Jahr 1804 auf 1.602 im Jahr 1950.
Die örtliche Infrastruktur entwickelt sich weiterhin, mit Wohn- und Gewerbeansiedlungen, die insbesondere im Süden, Westen und Norden des Dorfes zu finden sind. Ein breites Netz von Verbindungsstraßen sorgt dafür, dass Reiskirchen sowohl die Vorteile des ländlichen Lebens als auch eine gute Anbindung an städtische Zentren genießen kann. Die nächste große Jubiläumsfeier könnte sich möglicherweise auf das Jahr 2038 richten, da bereits ein Konzept für eine 800-Jahr-Feier vorliegt, was ein weiteres Zeichen für die lange und wechselvolle Geschichte dieser Gemeinde ist.