
Am 7. März 2025 fand in Gießen die erste „Purple Ride“-Fahrraddemonstration statt. Die Veranstaltung wurde von ALLrad, dem Büro für Frauen und Gleichberechtigung der Stadt Gießen und der Klimainitiative Linden organisiert. Rund 100 Teilnehmer folgten dem Aufruf zur Demonstration, die anlässlich des Internationalen Frauentags stattfand. Ziel war eine geschlechtergerechte Verkehrsplanung und die Sichtbarkeit der unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern im Verkehr.
Die Teilnehmer äußerten auf der Kundgebung am Berliner Platz ihre Forderungen nach einer Verkehrswende, die auch die Mobilitätsbedürfnisse von Geschlechtern berücksichtigt. Einige der anwesenden Frauen betonten, dass die Verkehrspolitik traditionell eine männliche Perspektive in den Mittelpunkt stellt und dabei die komplexen Mobilitätsbedürfnisse von Frauen ignoriert. Frauen nutzen häufiger öffentliche Verkehrsmittel oder Fahrräder für Alltagsangelegenheiten, während viele Männer eher auf Autos zurückgreifen. Dies schafft Ungleichheiten bei der Mobilität und im Zugang zu sozialen Diensten.
Kritik an den Sicherheitsmaßnahmen
Nach der Demo kam es zu einem Vorfall, der die berechtigte Kritik an der Absicherung der Veranstaltung verdeutlichte. Marc Strickert, ein Teilnehmer der Fahrraddemo, äußerte Unmut über die Einsatzkräfte von Polizei und Stadtpolizei. Er stellte fest, dass die Seitenstraßen nicht ausreichend gesichert waren, was dazu führte, dass ein Kfz-Fahrer in die gesperrte Kreuzung fuhr und eine Teilnehmerin gefährdete. Die Ordnungskräfte intervenierten hierbei nicht, da angeblich kein Grund für ein Eingreifen vorlag.
Die Stadtpolizei äußerte sich dazu und erklärte, dass die Sicherungsmaßnahmen grundlegend ausreichend waren. Eine vollständige Abdichtung einer Demonstration sei nicht wie bei einem Faschingsumzug möglich. Zudem wurde der Vorwurf, dass Hupen von Autofahrern nicht geahndet wurden, als Standardpraxis in solchen Versammlungen abgetan, da dies toleriert werde. Trotzdem blieb der Vorfall, bei dem ein Mann während einer Protestrede provokant ins Mikrofon schrie, im Gedächtnis der Demonstranten.
Verkehrswende und feministische Perspektive
Die Thematisierung der anhaltenden Ungleichbehandlung der Geschlechter in der Verkehrsplanung ist von entscheidender Bedeutung. Die Mobilitätsbedürfnisse sind bei Männern und Frauen unterschiedlich. Während Männer häufig lineare Arbeitswege haben, sind es bei Frauen meist komplexe Wegeketten, die zahlreiche Zwischenstopps erfordern. Dazu trägt auch der Gender Care Gap bei, der im Durchschnitt besagt, dass Frauen täglich 77 Minuten mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden als Männer.
Im ländlichen Raum sind Frauen oft darauf angewiesen, Auto zu fahren, wenn sie ihre Aufgaben nicht effizient erledigen können. Dies weist auf die Notwendigkeit hin, die Verkehrspolitik zu überdenken und eine geschlechtergerechte Perspektive zu fördern. Die Initiative „Purple Ride“ bringt diesen Diskurs auf die Straßen und nutzt das Fahrrad als Symbol für Emanzipation und Unabhängigkeit.
Im Hinblick auf eine sozial-ökologische Verkehrswende fordern die Teilnehmenden eine Förderung von umweltfreundlicheren Mobilitätsformen wie Radfahren, ÖPNV und Fußwegen. Die Demonstration bot zudem einen Raum für solidarische Vernetzung und lud zur Mitwirkung an einem offenen Angebot zum Radfahrenlernen für Frauen in Gießen ein. Informationen zur feministischen Verkehrspolitik sind unter anderem auf den Seiten des VCD verfügbar.
Insgesamt zeigt die erste „Purple Ride“-Demonstration in Gießen, dass der Bedarf nach einer gerechteren Verkehrspolitik, die die vielfältigen Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmer honoriert, dringender ist denn je. Die Debatte um diese Themen wird auch in Zukunft gleichermaßen in Gießen wie im Rest des Landes fortgeführt werden müssen.