
Am 7. Februar 2025 wird im Rathausfoyer von Gießen eine Wanderausstellung eröffnet, die an die jüdischen Opfer von Entrechtung und Enteignung in den 1930er Jahren erinnert. Diese Ausstellung stammt aus der italienischen Partnerstadt Ferrara und thematisiert die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, die viele in die Gaskammern von Auschwitz führte. Die Installation besteht aus einem „Remember House“, gefertigt aus Pappe und nachhaltigen Materialien, in dem symbolische Gegenstände vom Verlust der jüdischen Kultur erzählen und eine Brücke zur Gegenwart schlagen.
Organisiert wurde die Ausstellung vom MEIS, dem Nationalen Jüdischen Museum in Ferrara. Schüler und Jugendliche aus Europa wurden eingeladen, Vorschläge zur inhaltlichen Gestaltung einzureichen. Fünf Schülerprojekte aus verschiedenen Städten spiegeln die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Juden wider. So zeigt eine Oberstufenklasse aus Brescia beschlagnahmte Gegenstände aus dem Jahr 1938, während Schüler aus Eboli ein Video über das Leben einer jüdischen Familie im Jahr 1940 erstellt haben. Eine Klasse aus Modugno hat Gedichte mit Rezepten in der „Küche“ des Hauses verbunden.
Erinnerung an die Verfolgung
Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher betont die Verbindung dieser Erinnerungsarbeit zur Geschichte Gießens und verweist auf das Bankhaus Herz, das 1938 von den Nazis geplündert wurde; die Familie Herz wurde im KZ Treblinka ermordet. Diese und weitere Schicksale stehen exemplarisch für die systematische Verfolgung der Juden in Deutschland, die mithilfe unterschiedlicher Methoden vorangetrieben wurde.
Ab Mitte der 1920er-Jahre wurden jüdische Gewerbebetriebe in Deutschland zunehmend gewaltsam blockiert. Der Ausschluss jüdischer Unternehmer vom Geschäftsverkehr begann mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 und führte zu einem umfassenden Boykott durch die Bevölkerung. Pogromähnliche Gewaltaktionen, häufig von der NSDAP und der SA initiiert, kulminierten schließlich im Novemberpogrom 1938. Die daraufhin erlassene „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“ markierte einen tiefgreifenden Einschnitt im wirtschaftlichen Leben der deutschen Juden.
Herausforderungen in der Forschung
Forschungen über die Vernichtung jüdischer Wirtschaftstätigkeit nahmen seit den 1990er-Jahren Aufschwung, als Archive und Rückerstattungsakten zugänglich wurden. Historiker wie Helmut Genschel und Avraham Barkai beleuchten den Prozess der Arisierung, der nach 1933 erlebte eine drastische Beschleunigung. Barkai schätzte, dass es 1933 in Deutschland etwa 100.000 als jüdisch geltende Gewerbebetriebe gab. Dennoch dauerte der Prozess der Löschung jüdischer Firmen aus dem Handelsregister, besonders in Städten wie Berlin, bis weit in den Krieg hinein.
Eine zentrale Rolle bei der Unterstützung jüdischer Unternehmen spielte die 1933 gegründete „Zentralstelle für jüdische Wirtschaftshilfe“ in Berlin. Trotz intensiver Bemühungen von jüdischer Seite, unter anderem durch die Aufnahme nicht-jüdischer Gesellschafter, war der Druck auf jüdische Gewerbetreibende enorm. Zudem blieb die materielle Basis jüdischen Lebens durch die systematischen Übergriffe und Enteignungen bedroht.
Die Ausstellung „Remember House“ ist bis zum 27. Februar 2025 im Foyer des Gießener Rathauses zu sehen. Dow Aviv, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Gießen, zitiert Bundespräsident Steinmeier: „Es gibt kein Ende der Erinnerung.“ Dieser Gedanke soll insbesondere die jüngeren Generationen anregen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und die Opfer nicht zu vergessen. Rita Schneider-Cartocci, Vorsitzende der DIG Mittelhessen, hofft auf eine breite Entdeckung der Ausstellung durch Schüler und Jugendliche.
Für weitere Informationen zu historischen Aspekten und Dokumentationen über die Arisierung und die Enteignung jüdischen Vermögens kann das Bundesarchiv besucht werden, wo zahlreiche Unterlagen zugänglich sind, die diese grausame Epoche erläutern. Die anhaltende Forschung zu jugendlichen Unternehmen im Nationalsozialismus bleibt ein notwendiger Schritt, um das Unrecht der Vergangenheit zu verstehen und die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten.
Giessener Anzeiger | Bundesarchiv | Docupedia